Dienstag, 16. Juni 2015

NACKENTRAINING: Für alle, die kein Death Metal hören


Metal macht Hals

Eines Tages, im vergangenen Jahr, saß ich vor dem Rechner und mir fiel beiläufig auf, dass fast alle Musiker aus dem Metalbereich eine gut entwickelte Halsmuskulatur vorzeigen können. Als eingefleischter Kenner der härteren Beschallung, musste ich an den Frontman der US-amerikanischen Cheftruppe des Death Metal, Cannibal Corpse, denken: George "Corpsegrinder" Fisher.


http://wallpaper.metalship.org/images/corpsegrinder2.jpg


Seit Jahren hört man immer wieder Spässchen über den unglaublichen Umfang seines Nackens. Zugegeben, Mr. Fisher ist auch sonst mit der Konfektionsgröße eher im oberen Drittel. Dennoch fragt man sich als jahrelanger Fan der kleineren Muskelgruppen - Unterarm und Hals - wo diese Typen ohne einen blassen Schimmer von Training, so dicke Stiernacken herbekommen. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen - die Antwort ist naheliegend und so einfach: Headbangen was das Zeug hält. 

Superkompensation und Periodisierung einfach ignorieren und so oft es geht die Birne rumschleudern. Als Post-Workout Jackie und Pommes Rot-Weiß. George Fisher macht das schon lange und bei ihm sieht eine Einheit so aus:




Ich sollte dazu allerdings bemerken, dass er wahrscheinlich einer der härtesten Headbanger des Genres ist und zudem wohl mit einer sehr leistungsfähigen Halsstruktur gesegnet wurde. Meine umfangreichen Studien haben aber eindeutig gezeigt: Metal macht Hals. Je härter desto besser. Bei Cannibal Corpse und Konsorten ist das stark betonte Kopfnicken durch die mehrmaligen Blastbeat-Einlagen ihrer Songs vergleichbar mit einem Tabata-Intervall. Fans dieser Musikrichtung wissen, was ich meine.

Für alle, die lieber James Blunt hören, aber auf einen kräftigen Nacken nicht verzichten möchten, gibt es hier und jetzt die Anleitung unserer Akademie. Für alle Metalfans gilt: Alles Gut - weitermachen wie immer.



"Pencil Necks"

Im englischen Sprachraum hat sich vor allem bei Kraftsportlern - also Kraftdreikämpfer, Gewichtheber und Strongmen - der Begriff "Pencil Neck" als Bezeichnung für unvollständig trainierende Athleten etabliert. Soll heißen: Es gibt viele Leute, die in die Muckibude rennen, dicken Bizeps und dicke Brust haben, aber die Unterarme und vor allem der Hals weiterhin aussehen wie ein Bleistift. Nichts gegen die ästhetischen Lupfer, aber viele vernachlässigen die "unwichtigen" Muskelgruppen und kümmern sich konzentriert um die messbare Größe der Freibad-Figur. 


Hier mal ein paar Beispiele für eine austrainierte Muskulatur ohne Hals:

http://i.imgur.com/vUGCz.png

http://www.bodybuilding.com/fun/images/2013/military-bodybuilder-of-the-month-bruce-coleman_b.jpg

http://www.bodybuilding.com/fun/images/2007/lobliner28a.jpg

Ich habe größten Respekt vor den Leuten, welche die Disziplin und Ausdauer mitbringen, sich solche Körper heranzutrainieren und ihre Ernährung entsprechend im Griff haben. Leider kann ich nicht verstehen, wie man ausgerechnet im Bodybuilding so eine enorme Asymmetrie zwischen Nackenmuskulatur und Oberkörper "nicht bemerkt". Für alle, die gerade nicht verstehen, was ich meine, zeige ich nun das andere Extrem:

http://www.bodybuilding-pics.com/22/images/Jeff-King%20%2817%29.jpg


http://images.t-nation.com/forum_images/8/4/844646.1134092628075.Fox.JPG



http://i.telegraph.co.uk/multimedia/archive/02299/h_2299643a.jpg



Das letzte Foto ist ein Gewichtheber und kein Bodybuilder, aber ich denke, Ihr versteht, was ich zeigen möchte: Die beiden Endpunkte des Spektrums "Halsmuskulatur". Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der goldenen Mitte.


Wozu Hals?

Wie wir gerade gesehen haben, wirkt es visuell einfach seltsam, wenn man eine durchaus gut aufgebaute Torsomuskulatur mitbringt, der Hals jedoch keine entsprechende querschnittliche Veränderung erfahren hat. Über Ästhetik lässt sich durchaus streiten - Hauptsache man ist mit sich selbst und seinem Spiegelbild zufrieden.

Der bessere Grund, seine Nackenmuskulatur zu trainieren, ist die Vorbeugung gegen eine Halswirbeldegeneration durch sitzende Tätigkeit oder aber akute Verletzungen wie z.B. das Schleudertrauma nach einem Autounfall. Für aktive Kampfsportler ist Nackentraining natürlich ein ganz alter Hut. Ein kräftiger Hals ist für schlagende und raufende Athleten einfach notwendig, da man hier natürlich ein erhöhtes Risiko hat, dass der Kopf durch Fremdeinwirkung in seltsame Winkel beschleunigt wird, was zur Aufgabe bzw. dem Knock-Out führen kann. Ich schreibe diesen Artikel hier primär für Sportsfreunde, die wenig bis gar keine Ahnung vom gezielten Training der Halsmuskulatur haben. 

Ich würde allen nicht-kämpfenden Personen auch empfehlen, sich ihre Anregungen zu diesem Thema eben nicht beim Kampfsport zu holen, da es sich hier um Wettkampathleten handelt und die gängigen Trainingsmethoden zudem etwas schonungslose Praktiken für die Halswirbel empfehlen. 


Folgendes Video soll andeuten, was ich damit meine:

 


Hier zu sehen ist der Sohn vom guten Steve Maxwell. Beide sind Weltmeister im Brazilian Jiu-Jitsu. Zu sehen ist die klassische "Ringerbrücke" und wer auf YouTube nach Nackentraining im Kampfsport sucht, wird hier wirklich haarsträubende Sachen finden. Vor ca. 15 Jahren gab es ausgelöst durch Matt Furey und sein Combat Conditioning einen Hype in Sachen "Wrestler's Bridge" und plötzlich hat sich jeder (inklusive mir) dazu hinreißen lassen, diese Übung in sein Wohnzimmertraining einzubauen. Hier ein verführerischer Artikel von Mike Mahler zu Combat Conditioning. Ich sollte dazu erwähnen, dass Mahler in späteren Interviews zugab, dass er durch diese ultra High-Repetition Eskapaden Probleme mit den Schultergelenken entwickelt hat.

Ich möchte nur nochmal kurz klarstellen, dass man durch das Nackentraining im Kampfsport nicht zwingend Verletzungen oder chronische Erkrankungen der Halswirbelsäule davontragen muss. Das zeigt die große Anzahl von aktiven Kämpfern, welche keine Probleme haben. Man sollte sich als Hobbysportler, der einfach nur seinen Hals ein bisschen aufbauen will, aber besser zwei mal überlegen, ob man die ganze Nackenakrobatik wirklich von den Ringern, Boxern und anderen Kampfsportlern übernehmen sollte. 

Selber habe ich jahrelang diese Ringerbrücken ein bis zwei mal in der Woche trainiert und habe bis heute keine Bandscheibenprobleme im Halsbereich. Jedoch hatte ich nach dem Training öfter mal ein irgendwie verspanntes und wenig geschmeidiges Gefühl in der Muskulatur, was mich zu weiterer Recherche nach etwas schonenderen Methoden veranlasste.

Wenn ihr einen kräftigen Hals für Euren Kampfsport braucht, dann hört natürlich zuerst mal auf Euren Trainer und wirklich erfahrene Sportler aus Eurem Verein. Dieser Artikel richtet sich, wie bereits erwähnt, an Freizeitpumper ohne Wettkampf. Ich für meinen Teil habe irgendwann entschieden, dass ich für meine Trainingsziele keine derartigen Übungen aus dem Kampfsportbereich benötige, um einen optisch proportionalen und auch präventiv effizienten Halsdurchmesser zu erreichen.




Kleine Anatomie  
Bei vielen Trainierenden herrscht leider ein Missverständnis: Man hört von allen Seiten, wer einen sog. "Stiernacken" will, der sollte seinen Trapezius schwer trainieren und schön viele Shrugs (Schulterheben) machen. In der Regel war das dann auch schon alles, was die meisten Leute zu "Halstraining" wissen. Die "Traps" (also der Trapezius links und rechts) sind zwar cool und schön, aber wenn man diesen Tipp befolgt und sich sonst nicht weiter um den Wendehals kümmert, wird man am Ende genauso aussehen wie unsere oben gezeigten "Pencil Necks": Breite Schultern, mittelmäßiges Trapez (zu selten Shrugs) und ein Bleistift in der Mitte, als Kopfstütze. Leider wird hier vernachlässigt, dass unsere eindrucksvollste Seite des Halses vorne zu finden ist (Trotzdem bleiben Shrugs eine der unterschätztesten Übungen im Breitensport und sollten in keinem Programm fehlen).


Passend zum Thema Death Metal, eine Frau mit stoischem Blick und offenem Hals:

http://rlv.zcache.com/neck_muscles_posters-r236c2b46461e4acf83988b6e577c8c64_iyor3_8byvr_512.jpg


Im obigen Bild seht ihr hinten den Trapezius, aber die eigentliche Halsmasse nach vorne machen die Anteile des Sternocleidomastoid. Ihr könnt so viel Kreuzheben und Shrugs machen wie ihr wollt, diese Muskelgruppe wird bei Eurem Trainingskonzert immer nur die Blockflöte spielen, wenn ihr selbige nicht gezielt ansprecht. 

Im Folgenden erkläre ich Euch, wie ihr als Anfänger oder Fortgeschrittene nicht gleich bei den abgefahrenen Ringkämpfern nachfragen müsst, um einen rundherum dicken Hals zu kriegen. Ich zeige Euch eine supereinfache aber effiziente Übung, welche bei mir seit Jahren das Standbein im Nackentraining ausmacht, nachdem ich mit dem ganzen Brückenzirkus aufgehört habe. Zu meiner eigenen Überraschung konnte ich hierdurch sogar noch ein paar Zentimeter Umfang drauflegen.




Neck Nods

Eigentlich wollte ich die Übungen durch formschöne Farbaufnahmen selber demonstrieren, da ich aber fototechnisch leicht reizbar (d.h. talentfrei) bin und zusätzlich auch noch scheiße aussehe (der eigentliche Grund), erspare ich Euch dieses Highlight und versuche eine wörtliche Darstellung. Wenn ihr zusätzlich Bilder braucht, dann bitte einfach "Neck Nods" googlen.


Das "Kopfnicken" ist eine klassische Übung der Boxer und seit vielen Jahren die Grundausrüstung. Geeignet als Warm Up und zum erstaunlich guten Masseaufbau. Die ausführung ist einfach:

Man legt sich auf den Rücken, der Kopf ruht in neutraler Verlängerung der Wirbelsäule, d.h. er  liegt ebenfalls ganz normal und entspannt da, der Hinterkopf berührt den Boden.

Nun hebt man das Kinn Richtung Brustkorb, danach den Kopf wieder absenken - das war eine Wiederholung. Denkbar einfach also, aber dennoch ein paar Tipps: Entweder, Ihr berührt am Endpunkt mit dem Kinn Euren Brustkorb oder ihr legt die geballten Fäuste an beliebiger Stelle auf die Brust und diese bilden dann den Endpunkt der Bewegung. Ein maximaler Bewegungsumfang (Kinn berührt Brustbein) ist am Anfang meistens sehr anspruchsvoll und viele Leute werden nach ca. zwanzig Wiederholungen schon überrascht sein, wie untrainiert unsere Halsmuskeln eigentlich sind.

Versucht bitte, die Halsmuskulatur kompakt zu halten und konzentriert Euch auf eine vollständige Kontraktion, d.h. den Hals nicht "lang machen". Dies soll vermeiden, dass ihr nur den Kopf etwas einrollt, anstatt die gesamte Halswirbelsäule zu verwenden. Das ganze soll ungefähr aussehen wie ein Kopfstoß und nicht wie ein simples "Ja-Nicken". Die Bewegung ist stets sauber und ohne Schwung.

50 Wiederholungen werden hier für die meisten Anfänger schon eine Herausforderung sein. Am Anfang bitte nur einen Satz machen und abwarten was passiert. Wenn Euer Muskelkater danach weniger wird, bitte mehrere Durchgänge absolvieren. Die Halsmuskeln sind klein und äußerst präzise, weswegen wir uns hier zu Beginn lieber etwas defensiv anstellen, sonst kann es zu ungemütlichen Verspannungen kommen. Ich bin mittlerweile bei mehreren Sätzen mit 100 Wiederholungen angekommen, also nach oben ist Luft.

Als nächste Übung involviert man auch die seitlichen Halsmuskeln sehr stark, wenn man wieder die Fäuste als Endpunkt auf die Brust legt und nun jedes mal mit der Seite des Unterkiefers den Endpunkt berührt: Einmal links, einmal rechts im Wechsel. Genauer: Auf dem Rücken liegen, Kopf neutral am Boden. Dann anheben, Kopf drehen und mit der rechten Seite des Unterkiefers die Knöchel der linken Hand berühren und wieder runter. Danach die andere Seite.  


Neck Nods funktionieren in jede Richtung. Ihr könnt auch die hintere und seitliche Nackenmuskulatur durch das Nicken sehr gut ansprechen, wichtig ist nur, dass Ihr immer aus einer neutralen Kopfhaltung (Halswirbelsäule gerade) in Eure Muskulatur "hinein" kontrahiert und nicht in die Gegenrichtung überstreckt. Die Anspannung geht immer von neutral in die gewünschte Richtung und wieder zurück zu neutral. Das ist orthopädisch einfach sinnvoller als eine Belastung aus der Hyperextension/Überstreckung zu neutraler Stellung hin. Also den Kopf nicht hängen lassen. Ich hoffe, das war verständlich ausgedrückt.


Für die rückseitige Muskulatur lege ich mich auf den Bauch. Nun hebe ich den Kopf an und drehe von links nach rechts. Die hinteren Halsmuskeln können mehr vertragen und sind von natur aus stärker entwickelt - Hier könnt ihr die Wiederholungszahlen verdoppeln. Ich hebe den Kopf an und drehe abwechselnd nach links und rechts. Die Seite meines Kopfes (Schläfe) berührt nach jeder Drehung den Boden.

So, das wars auch schon für Halstraining ohne externen Widerstand.

Nochmal: Gerade für Hobbysportler ist sowas wie Muskelversagen beim Nacken oder schweres Gewicht nicht notwendig. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Halsmuskulatur eine primär stabilisierende Gruppe darstellt, die auch mit wenig Bewegung und eher ausdauerorientierten Übungen sehr gut aufbaut. Zudem bescherte mir das "schwere" Training öfter mal ein seltsam ungeschmeidiges Gefühl danach.

Die gerade beschriebenen Übungen involvieren auch die seitlichen Halsmuskeln sehr gut und ich mache persönlich für die Seite keine eigenen Sachen mehr.

Im folgenden Video seht ihr eine saugeile Methode von Ross Enamait, wie man supereinfach ein echt anständiges 360° Halstraining durchführt. Er zeigt hier quasi Neck Nods im stehen mit Widerstand vom Band und großer Bewegung.
  




Ich persönlich würde die "Range of Motion" (ROM) für Anfänger etwas kleiner halten. Herr Enamait ist aber langjähriger Veteran und verträgt sowieso mehr. Die hier demonstrierten Bewegungen könnt ihr sogar noch spartanischer ausführen, indem ihr einfach Eure Hände als Widerstand hernehmt:




Der Ratschlag zu Beginn des letzten Films gilt übrigens auch für alle anderen Hampeleien des kunterbunten Trainingszirkus: Wenn irgendwas weh tut, dann sollte man aufhören. Schmerzen sind ein Voschlag Eures Körpers, dass man die Aktivität vielleicht besser einstellen sollte. Listen to your Body. Und mit Schmerzen ist hier nicht direkt Muskelversagen oder der Kater danach gemeint, sondern akutes Stechen oder Ziehen durch manigfaltige Ursachen.




In diesem Sinne: Don't Be A Pencil Neck.

Coach Bernd



P.S.:

Hier noch ein Nacken-Ausdauervideo für Leute die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden können:










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