Sonntag, 25. Januar 2015

GRIFFKRAFT, Teil 2


Bunte Theorie


Hallo, Leute!
Im zweiten Teil unserer Griffkraft-Serie gebe ich Euch einen kleinen Überblick zu den Funktionen unserer Hand und die gängigsten Griffkraftdisziplinen. Für alle Spätzünder hier der Link zu Teil 1
 
Viel Spaß!



Was ist Griffkraft? Die meisten Leute denken jetzt vielleicht an diese billigen Hand-Gripper aus dem Supermarkt: Eine Stahlfeder mit zwei Plastikgriffen zum zusammenquetschen. In der Tat verbirgt sich hinter diesen Dingern ein wichtiger Aspekt unserer Griffkraft, aber eben nur einer von Vielen. Übrigens: Schon der Seewolf wusste, dass starke Hände eine dicke Hose machen.

Die Hände sind eigentlich ein anatomisches Kunstwerk: 27 Knochen und 33 Muskeln komponieren ein millimetergenaues Zusammenspiel von Handgelenk, Handfläche und Fingern: Beugen und Strecken des Handgelenks in vier Richtungen; Beugen und Strecken oder Abspreizen und Zusammenführen der Finger, sowie Schließen und Öffnen der Handfläche samt Beugen und Strecken des Daumens in alle Richtungen. 

Alle diese Funktionen sind Teile der sog. „Griffkraft“. Eine Vielzahl an Muskeln ab dem Ellbogengelenk abwärts ermöglichen die unterschiedlichsten und hoch präzisen Bewegungen unserer Greiforgane. In der Hand selbst befindet sich allerdings keine Fingermuskulatur, sondern nur die Sehnen und Ansätze der Handbeuger und -strecker im Unterarm. Daumen und Handfläche haben hiervon unabhängig ihre eigenen Muskeln.


Hier (ein paar) Funktionen der Finger, des Handgelenks und der Handfläche:

Finger gestreckt und anligend; Handfläche gestreckt


Finger gestreckt und abgespreizt; Handfläche gestreckt


 
Finger gebeugt und anliegend; Handfläche gestreckt 


 Finger gebeugt und abgespreizt; Handfläche gestreckt


Finger gebeugt und anliegend; Daumen maximal anliegend und Handfläche gebeugt 
(Die gute, alte Faust: Beliebtes Argument seit der Steinzeit) 


Handgelenk neutral


Handgelenk gestreckt


Handgelenk gebeugt


 Handgelenk zur Elle gebeugt


 Handgelenk zur Speiche gebeugt


Handfläche überstreckt


 Handfläche gebeugt


Die Mediziner unter Euch mögen mir Ungenauigkeiten oder fehlende lateinische Begriffe bitte verzeihen. Das hier soll nur ein grober Überblick über unsere ganz einfachen Finger- und Handstellungen sein. All diese Positionen verbindet das Wunderwerk Hand in alltäglichen Situationen sehr dynamisch und genau.

Weiter geht es mit ein wenig Theorie zum Training. Eine ausführliche Trainingsanleitung erscheint in unserem dritten und letzten Teil - das große Finale mit Pauken und Trompeten.


Traditionell wird die Griffkraft in drei Klassen eingeteilt:

Crushing/Squeezing (Quetschen): Hierunter versteht man (meistens) die Kraft, die z.B. den oben genannten Gripper schließt. Das bedeutet, die Finger und die Handfläche kontrahieren und die direkte Daumenkraft ist hier eher Nebensache. Die Gripperszene ist sehr groß und die schwersten Ausführungen haben eine Spannung von 150 kg und mehr: Captain of Crush #4 - dieser Gripper gilt als die absolute Oberklasse, mit einem Widerstand von 165 kg. Nur 5 Menschen konnten dieses Ding seit seiner Einführung von IronMind im Jahr 1994 offiziell schließen. Hier ist einer davon: Magnus Samuelsson. Crushing trainiert man am besten mit diesen Grippern, speziellen „Grip-Maschinen“ oder mit Fingercurls, hierzu aber mehr in Teil 3. 

Pinching (Kneifen): Das bedeutet, der Daumen drückt gegen die Finger. Ganz klassisch ist  das „pinchen“ von einer oder mehreren Hantelscheiben, wobei die Finger normalerweise gestreckt sind. Stellt Euch hier die Hände wie eine Art Schnabelzange vor. Diese Kategorie der Handkraft umfasst aber unzählige Diziplinen. Hier mal der Weltrekord im 1-Hand Pinch aus dem Jahr 2013: Kody Burns. Der Typ ist auch gutes Beispiel dafür, dass man kein 120 kg Steroid-Eimer sein muss, um in der Welt des Grip-Sport was zu reißen, siehe auch Joe Kinney oder den im ersten Teil unserer Serie bereits erwähnten Bruce White. Hier noch der berüchtigte Klimmzugspezialist Karl Humer aus Österreich: Rafter Pullup. (Karl ist häufig zu sehen auf sehr empfehlenswerten Seite www.naturtraining.net) Das ist Pinch-Kraft der allerhöchsten Stufe. Berühmte Herausforderungen sind auch der Hub oder der Blob, in Teil 1 bereits näher vorgestellt.

Support (Stützen oder Tragen): Wenn man eine schwere Hantel vom Boden hebt, dann „supporten“ die Finger das meiste Gewicht und der Daumen sorgt für den Verschluss der Hand. Support-Grip gibt es also beim Kreuzheben, beim Rudern, beim Klimmzug, Farmer’s Walk oder kurz gesagt, bei jeder Zugübung. Die berühmten Challenge-Hanteln der vergangenen Zirkusathleten wurden das letzte mal ja auch schon vorgestellt. Diese haben gemeinsam, dass ihr Griffdurchmesser außergewöhnlich groß ist. Im englischen Sprachgebrauch redet man hier von „Thick Bar“, also „dicke Stange“. Je größer der Durchmesser einer Hantel wird, desto schwieriger wird es auch, diese zu heben. Die mittlerweile sehr populären „Fat Gripz“ sollen genau das simulieren. Apollon’s Axle, Inch Dumbbell und einige andere berühmt gewordene Hanteln sind also die historischen Vorreiter. Auch der berühmte „Rolling Thunder“-Griff, wiederrum von IronMind, ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Griffkraft-Wettbewerbe. 

Wrist Strength (Handgelenkskraft): Kraft im Handgelenk bedeutet, die Muskeln des Unterarmes stabilisieren die Hand entweder isometrisch gegen einen festen Widerstand oder sie arbeiten dynamisch so wie z.B. bei den Wrist Curls. Wer unseren Artikel über das Training mit dem Vorschlaghammer gelesen hat, der weiß, was mit „Levering“ gemeint ist. „Hebeln“ bedeutet, dass man einen Vorschlaghammer an beliebigen Positionen des Stiels entweder über einen bestimmten Zeitraum versucht parallel zum Boden zu halten, oder man „hebelt“ (dieser YT-Kanal ist sehenswert) den Hammer aktiv hoch und runter. Auch hier gibt es unglaublich kräftige Spezialisten, wie z.B. „Slim the Hammer Man“. 

Extension (Fingerstreckung): Eine oft übersehene Funktion unserer Handkraft. Die Finger sind nicht nur zum Zupacken da, sondern sollten, gerade bei „handintensiven“ Sportarten wie Klettern oder Kampfsport, auch ab und zu kräftig gestreckt werden. Probleme entstehen, wenn sich die Leute zu sehr auf die Greiferei konzentrieren und dabei die Antagonisten vernachlässigen. Diese Dysbalance-Problematik findet man aber in jedem Krafttraining. Ich erinnere an unser Ausganszitat von Dan John: „The body is one piece“. Die Extensoren der Hand trainiert man entweder mit einem einfachen Gummiband oder völlig minimalistisch mit dem Eigenwiderstand der anderen Hand. Erklärung folgt...


Im dritten und letzten Teil über die Griffkraft lassen wir dann trainingstechnisch die Sau raus. Hier kriegt ihr dann Workouts, D.I.Y. Bauanleitungen und die volle Palette aus Coach Pierres wunderbarer Welt der Hand-Schwerkraft.

Bis dahin...
Coach Bernd 

Freitag, 9. Januar 2015

Harter Kern im Fokus, Teil 1: Valentin Dikul



Valentin Dikul ist ein russischer Zirkusathlet und gleichzeitig sehr erfolgreicher Reha-Therapeut in Moskau. Dieses Doppelleben alleine ist schon Grund zum Aufmerken, außerhalb des russischen Sprachraums ist er jedoch kaum bekannt. Machte er vor ein paar Jahren etwas kurzlebig durch dubiose „Weltrekorde“ im Powerlifting auf sich aufmerksam, ist er mittlerweile wieder von der Bildfläche verschwunden. Wir von der A.H.A. finden, Valentin Dikul hat mehr Anklang verdient und er ist unser Pilot für eine neue Artikelreihe „Harter Kern im Fokus“, in der wir Euch immer wieder illustre Persönlichkeiten rund um den Kraftsport vorstellen werden. Viel Spaß! 




Dikul wurde 1948 in Lettland geboren. Der Vater ist im Krieg gefallen und die Mutter starb bei seiner Geburt. Dikuls Kindheit war geprägt von Hunger und Überlebenskampf in den Wirren der Nachkriegszeit. Er war schon früh fasziniert vom Zirkus und hat sich ganze Tage aus dem Waisenhaus weggeschlichen, um die Aufführungen zu bewundern und den Alltag der Akrobaten zu erleben. Für ihn war damals klar, dass er sich dem Wanderzirkus anschließen würde und als er alt genug war, setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Dikul war sehr talentiert und lernte schnell die nötige Akrobatik und das Jonglieren - er blieb schließlich beim Trapez hängen (Vorsicht: Wortspiel!). Bei seiner ersten Vorstellung war er zarte fünfzehn Jahre alt und bereits äußerst fit.

Das Schicksal holte ihn nur ein Jahr später ein: 1962 riss während einer Aufführung ein Stahlseil und er stürzte mehr als zehn Meter in die Tiefe. Er hatte unter Anderem gebrochene Wirbel und war ab der Hüfte abwärts gelähmt mit einer unguten Prognose seitens der damaligen Ärzte. Sein eiserner Wille und der unbändige Wunsch, eines Tages wieder als Akrobat aufzutreten, ließen Valentin Dikul selbstverständlich nicht zur Ruhe kommen. Sofort nach seinem Krankenhausaufenthalt begann er entgegen der ärztlichen Ratschläge mit einem beinharten Trainingsprogramm.

Er trainierte seinen Oberkörper mit Gewichten und zwang seine Beine durch selbsterfundene Mobilitätsübungen sozusagen zu neuem Leben. Mehr als einmal wurde er, vom Training endlos erschöpft, schlafend neben den Hanteln auf dem Boden seines Zimmers gefunden. Laut Dikul war seine Theorie die, dass er durch die zwanghafte Bewegung der Beine und den Muskelreiz neue Nervenbahnen und kleinere Muskelgruppen stimulieren könne, welche dann vorerst die Arbeit seiner vorrübergehend lahmgelegten Beine ankurbeln. Man darf nicht außer Acht lassen, dass Menschen wie Valentin Dikul wahrscheinlich mental ebenfalls aus einem besonders harten Holz geschnitzt sind und er eine Kapitulation unter keinen Umständen akzeptiert hätte.

Nach sechs grausamen Jahren war es dann soweit: Dikul konnte aus eigener Kraft aus seinem Rollstuhl aufstehen und mit äußerst unsicheren Minischritten den Raum durchqueren.

Long story short: Heute ist Dikul immer noch am Start. Nach seiner weiteren Genesung unter eigener Regie ging er zurück zum Zirkus, aber dieses mal als Eisenakrobat:


80 kg Rundgewicht ist nicht übel für einen Ex-Rollstuhlfahrer.

In den letzten vier Jahrzehnten ist Dikul ein sehr erfolgreicher Therapeut für orthopädische Totalschäden aus aller Welt geworden und empfängt zwischen seinen Trainingseinheiten und der abendlichen Vorführung seine Patienten. Bewegte Bilder sagen mehr als (meine) tausend Worte und im Anschluss habe ich noch eine englische Doku für Euch. Heute ist Dikul 66 Jahre alt und immer noch unter schwerem Gewicht zu finden.

In diesem Sinne: 
„Sag niemals Nie!“





Ein Gutes Neues
Coach Bernd