The Weakest Link
Es wird wieder in die
Hände gespuckt. Mit unserer Griffkraftserie möchten
wir Euch eine möglichst umfassende Einführung in die verborgene Welt der Handakrobatik
hinlegen. Wir hoffen, Ihr könnt das hier Geschriebene als Sprungbrett für Eure
eigenen Schwimmversuche gut gebrauchen. Zunächst aber eine Lektion in
Geschichte: Wir stellen heute ein paar schillernde Figuren der Kraftsportszene
vor. Die Liste der vergangenen und aktuellen Griffmonster ist sehr lang und wir
möchten uns hier auf einen interessanten Rundumschlag beschränken. Im zweitenTeil gibt’s dann Anatomie und Trainingstheorie. Den Abschluss dieser Reihe bildet dann unser großer Praxisratgeber (Teil 3)
mit allen D.I.Y.-Ergüssen unseres leitenden Fitness-Fetischisten Coach Pierre.
In diesem Sinne: Viel
Spaß!
„The body is one
piece“ – Dan John
Dieser Satz begleitet mich seit
langer Zeit durch mein Leben als Hobbyathlet. Immer wieder stelle ich fest,
dass dieses Prinzip nicht oft genug gepredigt werden kann. Wenn ich manchmal
erzähle, ich trainiere meine Griffkraft und die Halsmuskulatur, dann fragen
mich die Leute immer wieder verwundert: „Warum?“. Die bessere Frage, und dies
gilt für fast alle Lebenslagen, wäre: „Warum eigentlich nicht?“. Unser Körper
ist aus einem Stück und das Gesamtkunstwerk ist eine funktionale Einheit vom
Scheitel bis zur Sohle: „One Piece“.
Natürlich, wenn man aus rein
ästhetischen Gründen Eisensport betreibt und man ist damit zufrieden, in einer
Badehose gut rumzustehen, dann muss man nicht unbedingt die kleinen
Muskelgruppen gezielt ansprechen. Die Freunde der Odd Objects (
nachzulesen im Blog Archiv) sollten aber bereits gemerkt haben, dass Dan Johns Zitat genau eines
bewahrheitet: Für eine effiziente Ganzkörperkraft braucht man vor allem die
Gichtfinger und auch den Wendehals auf Vordermann (Auf das richtige
Nackentraining kommen wir zukünftig noch zurück).
Jede Kette ist nur so stark wie ihr
schwächstes Glied. Übertragen auf das Training der Körperkraft bedeutet dies:
Wenn meine Hände zu schwach sind, um meine Power auf das Objekt der Begierde zu
übertragen, dann ist die Griffkraft der limitierende Faktor für alles Weitere. Wer
schwache Hände hat, hat resultierend einen schwachen Körper. Das ist wie ein
Porsche mit den Rädern eines Bobbycars: Die Kraft kommt niemals auf der Straße
an, weil vorher alles auseinanderfliegt. Analog hierzu: Ein 45er Oberarm mit der
Handkraft von Schneewittchen sieht gut aus und das war auch schon alles.
Für die sportliche Leistung
bedeutet dies: Mehr Griffkraft = mehr Gewicht, mehr Wiederholungen, mehr
Workout. Und dabei spielt es keine Rolle, ob ich dicke Arme will oder 200
kg Kreuzheben.
Im Folgenden stellen wir Euch schillernde
Figuren vor, die dieses Prinzip permanent zur Anwendung gebracht haben.
Speziell was die Griffkraft angeht, gibt es ein paar Experten, welche als
Inspiration und Ausgangspunkt für eigene Recherche gleichermaßen wertvoll sind.
Es wird erst mal Old School…
Bunte
Geschichte:
Luis „Apollon“ Uni (1862-1928)
ist der Namensgeber der berühmten „Apollon’s Axle“. Uni war ein
professioneller
Zirkus-Strongman des 19. Jahrhunderts und seine Bühnenlanghantel war
wirklich „Low Tech“: Einfach eine Achse mit zwei Radreifen eines französischen
Eisenbahnwagons. Das Teil wiegt 166 kg und hat einen Griffdurchmesser von 49mm.
Es gibt leider keine verlässlichen Quellen über Unis Leistungen mit seiner
Achse, aber ich vermute mal, er hatte das Ding nicht nur zum Anschauen. Belegt
sind Umsetzen und Stoßen von einem französischen und zwei amerikanischen
Gewichthebern späterer Zeiten, nachzulesen hier auf www.ironmind.com:
Apollon’s Axle. Apollons Langhantel
ist als Replika ein fester Bestandteil des alljährlichen „Arnold Strongman
Classic“ Wettbewerbs in Columbus, Ohio:
„Big Z“ Savickas. Im Video sieht man den eindrucksvollen
Durchmesser der Achse. Genau aus diesem Grund wird die Hantel auch nur sehr selten
direkt bis auf Schulterlevel umgesetzt, das Teil ist einfach zu fett für einen
Power Clean. Eine überlieferte Spezialität von Uni war es, auf der Bühne eine
40 kg Hantelscheibe allein mit der Fingerkraft gegen den Handballen ohne
Verwendung des Daumens vom Boden umzusetzen und über den Kopf zu drücken. Diese
Aktion erfordert nicht nur eiserne Finger sondern auch ein Handgelenk aus
Stahl.
Thomas Inch (1883-1962)
wurde im Alter von 16 Jahren “Britain’s Strongest Youth“ und 1910 der erste
offizielle „Brintain’s Strongest Man“. So wie Luis Uni, war auch Thomas Inch
ein professioneller Kraftathlet und unterhielt lebhaften Kontakt zu seinen
eisenhebenden Zeitgenossen wie dem
Saxon-Trio oder
Professor Attila. Das
berühmteste Grip Tool der Welt haben wir ihm zu verdanken: Die „Inch Dumbbell“.
Die originale Kurzhantel wiegt 78 kg und hat einen Griffdurchmesser von 2 3/8
Zoll oder 6,03 cm. Die ganze Geschichte um Thomas Inch und seine „Challenge
Dumbbells“ ist etwas dubios und niemand weiß eigentlich genau Bescheid, wer die
Hantel nun überhaupt gehoben oder sogar einarmig über den Kopf gebracht hat. Genau
recherchiert wird es in folgendem empfehlenswertem Artikel:
Inch 101. Und hier
noch
ein guter Link zu Jedd Johnsons
(www.dieselcrew.com) Vorstellung: „
What ist the Inch Dumbbell?“.
Es bleibt aber ganz sicher
ausschließlich abartig kräftigen Handathleten vorbehalten, dieses Ding
einhändig vom Boden zu heben:
Mark Henry gilt,
glaube ich, als der erste (und vielleicht auch einzige) Athlet der jüngeren
Vergangenheit, der die Inch Hantel im Jahr 2002 mit einem unglaublichen
einarmigen Power Clean & Jerk über den Kopf brachte. Hier kriegt ihr jetzt
noch Thomas Inch himself zu sehen: Zusammen mit „
Resista“ und nochmal mit
einer
Hantel Show.
Aus den Videos wird ersichtlich, dass Inch ein Showman war und vielleicht hier
und da etwas viel Fantasie hatte, dennoch war er sicherlich kein Schwächling
und immerhin verdanken wir ihm die coolste Kurzhantel der Welt.
Hermann Görner (1891-1956).
Görner begann bereits im Alter von 10 Jahren mit dem Eisensport. In diesem
zarten Alter konnte er angeblich ein 50 kg Rundgewicht mit einem Power Swing
über den Kopf schleudern, er war also ein ausgesprochenes Naturtalent. Görner
war erfolgreicher Gewichtheber bevor er professionell als Kraftathlet in
Theatern, Varietees oder mit verschiedenen Zirkussen unterwegs war. Er machte
dabei
lustige Dinge
wie Ringen mit einem Zwergelefanten (680 kg) oder das stehende Stützen einer
speziellen Bühnen-Brücke auf die ein vollbesetztes Auto (1770 kg) fuhr. Auch
trug er einen 655 kg schweren Konzertflügel samt Verpackung 16 Meter weit auf
seinem Rücken - ziemlich die Spitze der Odd Objects. Görner war also
unglaublich stark und hat belegte Rekorde wie einarmiges Reißen einer
Langhantel mit 104 kg, ein 2-Hands-Anyhow mit 2(!) Kettlebells pro Hand von
insgesamt 190 kg oder Kreuzheben im normalen Obergriff mit 360 kg. Seine
Handkraft war so phänomenal, so dass sein einarmiges Kreuzheben mit 330 kg (8.
Oktober 1920) noch heute Weltrekord ist. Die Liste seiner ungewöhnlichen
Kraftleistungen ist sehr lang und ich bitte um eigene Recherche im späteren
Link, siehe unten.
Auch Görner hatte eine spezielle
Bühnenlanghantel
mit einem Gewicht von 150 kg und einem unglaublichen Griffdurchmesser von 7 cm!
Während seiner Karriere als Strongman hat es angeblich niemand geschafft, diese
Hantel auch nur vom Boden zu heben und man sagt, Görner konnte das Teil zu
jeder Zeit ohne Aufwärmen locker „aus der Hose“ Umsetzen und Stoßen. Ich denke,
dass Herrmann Görner wahrscheinlich der kräftigste Mensch war, den Bier und
Bratwurst jemals hervorgebracht haben (hiervon hat er angeblich ebenfalls
enorme Quantitäten verzehrt). Seine Rekorde als Gewichtheber und die Leistungen
mit der Langhantel sind recht gut dokumentiert, alle Geschichten auf der Bühne
können auch übertrieben sein, was in den Kreisen der Zirkusathleten von damals
nicht selten war, wie bei Thomas Inch weiter oben schon angedeutet wurde. Man
darf aber auch nicht vergessen, dass das Leben vor 100 Jahren durchaus anstrengender war als unser heute. Da gabs nur gute, alte Handarbeit und nichts ging per Knopfdruck. Deswegen verweundert es mich auch nicht, wenn die Rekorde der Vergangenheit für uns Bürostuhl-Sitzer zu krass rüberkommen. Hermann Görner war übrigens gelernter Ofensetzer und das alleine klingt schon heftig.
Hier gibt es eine sehr
lesenswerte Zusammenfassung seiner Leistungen auf www.legendarystrength.com:
„
Goerner
the Mighty“.
Und jetzt noch weitere Beispiele
griffstarker Zeitgenossen:
Bruce White (1934 – 2005) Bruce
White ist hier so etwas wie die Verbindung von Old School und Heute. Er lebte
in Australien und war ein leichter Mensch mit Riesenkräften. Er ist der einzige
australische Griffkraftspezialist und schraubte sich demnach ohne motivierende
Konkurrenz in Rekordhöhen. Dazu bleibt noch zu sagen, dass White im Alter von
nur vier Jahren mit dem Eisensport anfing – er hatte also guten Vorsprung. Bei
einem Körpergewicht von ca. 70 kg brachte er seinen Weltrekord für das Leicht-
und Mittelgewicht im Kreuzheben auf knapp 287 kg - er war also nicht nur mit
seinen Händen außergewöhnlich stark. Ein paar Leute, die sich besser auskennen,
nennen ihn zusammen mit Luis Uni und Hermann Görner als die griffstärksten
Menschen aller Zeiten.
Whites Rekorde sind was für
Insider: Einarmiger Pinch Lift einer „smooth plate“ mit über 52 kg, Rafter
Pullup mit rund 45 kg Zusatzgewicht und Kreuzheben der Inch Dumbbell, um nur
mal eine Auswahl zu nennen. Eine weitere Spezialität von White war das Heben
eines 70 kg-Amboss am sog. „Horn“. Wie gesagt, Bruce White war nicht groß und
ein leichter Kraftathlet, weswegen seine Rekorde unglaubliche Leistungen sind.
Nur mal zum Vergleich: Hermann Görners Rekord im einarmigen Pinch Lift lag bei
50,5 kg und damit unterhalb dem von Bruce White, welcher mindestens 30 kg
leichter war als Görner. Dieser
Artikel schafft Aufklärung für alle, die mit den gerade genannten Übungen nichts
anfangen können. Spätestens nach Teil 2 unserer A.H.A. Artikelserie seid Ihr
auf dem Laufenden.
Richard Sorin (*1951) Richard
Sorin ist der Gründer von Sorinex und er verkauft hochpreisiges
Trainingsequipment und Crossfit-Geräte. Er war der erste Mensch, der einen
Captain of Crush #3 geschlossen hat und auch er hat in den 70er Jahren den
legendären „Blob“ entdeckt. Der Blob ist ein Ende einer 200 Pfund York
Kurzhantel. Diese Hanteln waren aus einem Stück gegossen und wenn man die
beiden Gewichte links und rechts mit der Flex vom Griff abgetrennt hat, bekam
man zwei ca. 100 Pfund schwere und sehr breite Rundgewichte, die sog. „Blobs“.
Sorin war auch der erste Mensch, der diese Stahlklumpen mit nur einer Hand
aufheben konnte.
Hier ist ein gutes Interview.
Seine weiteren Griffkraft Rekorde
sind fast zu heftig um wahr zu sein, dennoch offiziell belegt und keine Märchen
aus der Zeit von Thomas Inch: 240 kg normales Kreuzheben, 306 kg von Blöcken
und den Captain of Crush #3 und das alles mit jeweils zwei Fingern pro Hand,
Zeige- und Ringfinger. Wer den C.o.C #3 mit nur zwei Fingern schließt, ist ohne
Zweifel ein außerirdischer Mutant und das meine ich Ernst. Sorin war immer eine
treibende Kraft in der jüngeren Geschichte der Griffkraftwettbewerbe und seine
Firma
Sorinex verkauft hochwertiges
Material für alle Gewichtheber und Crossfitter, aber auch spitzenmäßige Grip
Tools für den größeren Geldbeutel.
John Brookfield (* 1961)
ist der Erfinder der
BattlingRopes® und ein sehr aktiver
Autor für
„IronMind“ und das „MILO“
Magazin von Dr. Randall Strossen - eingefleischten Kennern der Langhantelkultur
dürfte dieser nicht unbekannt sein. Über Brookfields athletische Anfänge ist
nichts Genaues zu finden, allerdings ist er berühmt für seine unmenschlichen
Kraft- und Ausdauerweltrekorde, so hat er zum Beispiel einen 23 kg
Vorschlaghammer über 60 Minuten auf einen Reifen gehauen, bei einem Schnitt von
30 Schlägen pro Minute. Diejenigen unter Euch, die sich mit dem Hämmern
auskennen, wissen jetzt also, dass der Typ eine Maschine sein muss.
Auch mit Kettlebells ist John
Brookfield sehr gut unterwegs: „
Tower of Terror“ - die
Kugel, die er da so locker rumwirbelt, wiegt übrigens um die 50 kg. Ein
weiterer Weltrekord von ihm sind 1200 Snatches in 60 Minuten mit einer 24er
Kettlebell. Man kann also klar sagen, dass John Brookfield ein echtes
Multitalent im Kraftausdauerbereich ist. Die meisten seiner Rekorde liegen aber
alle im Bereich Griffkraft und er ist so eine Art Papst im Stahl verbiegen und
Karten zerreißen:
John Brookfield's card tearing record.
Brookfield
ist für uns allerdings aus einem weiteren Grund interessant: Er ist ein Fan von
Low Tech/High Effect Training für die Griffkraft. Er benutzt Handtücher, ganz
normale Holzbretter, alte Stöcke oder verrostete Hantelscheiben und das alles
bindet er mit Omas alter Hanfschnur zusammen. Wiederrum bei www.ironmind.com
findet man seine gesammelten „Grip Tips“
und diese sind Gold wert für Inspiration beim nächsten BKA in Coach Pierres
geheimen Stützpunkt (B.K.A. - Pinch Grip) oder
bei Euch im Vorgarten.
David Horne (*
1962). Horne ist Schotte und hat eine große Vergangenheit in
den verschiedensten Kraftsportarten: Er war im Strongman-Sport, beim
Tauziehen, Kraftdreikampf, „All-round Weightlifting“ und im
Armdrücken mehrfacher Champion. David Horne ist eine lebende Legende
im Griffsport und vertreibt seine eigenen Grip Tools:
World
of Grip. Seine
Homepage
ist die beste Anlaufstelle für alle Arten von Informationen über
das Training der Handkraft und hier ist der Link zu seinem
Forum.
Die Liste der aktuellen
Weltrekorde (
hier)
in den verschiedensten Hand- und Fingerkraft Disziplinen ist fast
schonungslos dominiert von seinem Namen und ich glaube, wenn man eine
Person nennen müsste, die Grip Strength wirklich gefressen hat, dann
ist er es. Seine Frau ist übrigens die weibliche Nr. 1. Wenn bei den
Eheleuten Horne der Haussegen schief hängt wird es also hässlich
abgehen.
Die
hier genannten Kraftsportler sind nur eine kleine Auswahl aus dem ganzen
Rummelplatz der handathletischen Subkultur. Ein Anspruch auf Vollständigkeit
würde jeden Rahmen sprengen.
Und hier noch ein paar interessante Links für die
Streber:
Im zweiten Teil unserer
Artikelserie dreht sich dann alles um Anatomie und Funktionen unserer
Handkraft.
Fröhliche Weihnachten wünscht
Coach Bernd